Zu Besuch beim Mittelspecht
Ein Waldspaziergang im Naturschutzgebiet "Tiergarten“
27. März 2015 - Tief atme ich die feuchte, herrlich schmeckende Waldluft ein und lasse meinen Blick über ehrwürdige Baumveteranen wandern. Bei einem Streifzug durch den Tiergarten, einem kleinen Waldstück bei Waldsieversdorf in Ostbrandenburg, ist Aufmerksamkeit geboten. Zum einen will jeder Schritt gut gesetzt sein, denn der Waldboden ist bedeckt von herabgefallenen Ästen und umgekippten Baumriesen.
Zum anderen bietet der Wald eindrucksvolle Naturerlebnisse. Begleitet vom vielstimmigen Treiben der Vogelschar in den weit über mir stehenden Baumkronen tauche ich ein in das geheimnisvolle Durcheinander dieses urigen Waldes. Dass dieser etwas ganz besonderes ist, zeigt auch die Anwesenheit des sonst eher selten anzutreffenden Mittelspechtes. Sein Rufen teilt mir mit, dass auch er mich schon entdeckt hat.
Früher Wildgatter, heute Urwald
Der Tiergarten hat Glück gehabt. Früher diente er als Wildgatter für die Jagden der Adelsgesellschaften. Die Holznutzung musste zurücktreten hinter diesem herrschaftlichen Vergnügen. Dadurch erhielt sich hier ein Wald mit mächtigen Eichen, Ulmen, Eschen und Hainbuchen, zu deren Füßen sich im Frühjahr das Gelbe Buschwindröschen, der Mittlere Lerchensporn, die vierblättrige Einbeere und viele andere Blütenpflanzen gesellen. Sie müssen sich beeilen, denn bald wird das sich schließende Blätterdach nur noch wenig Licht auf den Boden lassen.
In solchen uralten Wäldern, in denen über Jahrhunderte Altbäume die natürliche Zerfallsphase durchgehen konnten, sind die Bedingungen für sogenannte Urwaldreliktarten ideal: Insbesondere totholzbewohnende Käferarten, die nicht sonderlich mobil sind und deren Überleben daher an urwaldtypischen Strukturen mit einer langen zeitlichen Kontinuität hängt, finden hier beste Bedingungen. Etwa 115 der rund 1.400 totholzbewohnenden Käferarten Deutschlands zählen zu dieser Gruppe und sind akut vom Aussterben bedroht. Nur ein wenig weiter des Weges kann ich den Grund für das Aussterben erleben: Hier wirtschaftet der Mensch in einem monotonen Kiefernforst, dessen Bäume spätestens in einem recht jungen Alter von hundert Jahren geerntet werden.
Dank zahlreicher Spenden rettet NABU-Stiftung das Waldgebiet
2014 war die Zukunft der Urwaldriesen im Tiergarten ungewiss: Elf Hektar wurden von der bundeseigenen Bundesverwaltungs- und Verwertungsgesellschaft zum Verkauf ausgeschrieben. Obwohl der Tiergarten als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist, ist eine forstliche Nutzung nicht verboten. Die Sorge war daher groß, dass ein neuer Privateigentümer den Kaufpreis über den Einschlag der Altbäume refinanzieren würde.
Um dies zu verhindern, verhandelte die NABU-Stiftung um den Kauf des Waldes. Seit Anfang 2015 können wir aufatmen: Die BVVG wird ihre Fläche an die NABU-Stiftung verkaufen. Die hierfür notwendige Summe von rund 75.000 Euro bringt die NABU-Stiftung aus Spenden sowie aus einer Ausschüttung der NABU-Waldpatenschafterträge auf. Somit findet hier auch in Zukunft der Mittelspecht Altbäume, in die er bevorzugt seine Höhlen zimmert und die später von der Bechsteinfledermaus und weiteren Nachmietern bezogen werden können. Und für uns Menschen bleibt ein eindrucksvolles Naturerlebnis erhalten, das uns so auf kaum zwei Prozent unserer deutschen Wälder geboten wird.
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Im Naturschutzgebiet „Tiergarten“, 30 Kilometer östlich von Berlin, bewahrt die NABU-Stiftung elf Hektar "Urwald von morgen". Mehr →